Sonntag, 07.07., Bad Harzburg – Ballenstedt
67 Kilometer, 4:00 Std., 592 Höhenmeter.
Wir radeln rund um den Brocken und irgendwann dann im Wald an einem DDR-Grenzpfahl vorbei. Wenn man sich das alles vorstellt, was hier mal war und nicht möglich war…
In Wernigerode findet ein Neustadter Weinfest statt. Neustadt ist kein Stadtteil, das war meine Vermutung. Nein, Winzer aus Neustadt an der Weinstraße sind hier und bieten Weine und Essen aus unserer Heimatregion an. Witzig. Die Blasmusik ist aber aus der Gegend.
Wir sind in ein Café in ausreichender Entfernung. Blasmusikfrei den Koffeinspiegel justieren.
Wir kreuzen mehrfach die Harzer Schmalspurbahn. Vielleicht könnte man mal zum Bahnwandern zurückkehren?
Wir fahren heute trocken und warm mehr bergab als bergauf. Sehr angenehm. In Ballenstedt führt der Radweg direkt einem alten, von Niederländern schön renovierten Bahnhofsgebäude vorbei. Wir trinken Radler und essen landestypisch (Niederlande) Pommes.
Dann Anruf von unserem Ziel, einem Hotel in Ballenstedt, welches auch einen Campingplatz betreibt. Ich hatte reserviert. Ob wir für den Campingplatz überhaupt noch kommen würden? Man hätte schließlich schon Feierabend. Beim Öffnen der Homepage, poppt ein Pop-up mit längeren Öffnungszeiten. Da hätten wir noch viel Zeit gehabt und auch im Hotel noch eine geöffnete Küche gefunden. Egal, wir beeilen uns für die letzten Kilometer. Zitat von der Hotelseite „Für Sie bereitstehende Nasszellen, in Form von Toiletten und Duschen finden Sie vorerst im Hotel. So können Sie nach einem kurzen Fußweg alle Annehmlichkeiten eines ordentlich hygienischen Hotelbadezimmers genießen.“ Die Realität war dann eine mobile Toilette auf der Hotelwiese und ausnahmsweise würde man die Tür zum Hotel noch ein wenig auflassen, damit wir doch noch duschen können. Ich halte mich hier mit der Kritik zurück. Aber der Abend und die Nacht waren angenehm ruhig.
Montag, 08.07., Ballenstedt – Gerlebogk
64 Kilometer, 3:36 Std., 248 Höhenmeter.
Viel Rückenwind und hauptsächlich geht es bergab. Kaffeepause in Aschersleben. Wir machen eine Sozialstudie auf der Terrasse unseres Cafés. Es gibt viel zu sehen und viel zu hören. Amüsant.
Kleiner Umweg über Bernburg an der Saale. Mittagessen mit türkischen Falafel, Salat und Pommes im Schatten. Sehr angenehm. Ich erledige danach den Einkauf bei Rewe, J. wartet mit dem Hund und nutzt die Zeit zum Schreiben.
Nach der Reststrecke kommen wir zum Campingplatz in Kombination mit einem Strandbad. Die Kassiererin kann eher Strandbad als Campingplatz und ist schon überfordert, weil wir für den Zeltplatz gleichzeitig mit einem Auto fürs Strandbad kommen. Da hätten wir wohl schneller oder langsamer fahren müssen. Das Einchecken, natürlich nur mit Bargeld möglich, klappt dann doch. Und nach einer Dusche mit unsinnig viel Druck für die Reinigung aller Poren und dem Abendessen ist die Welt am zweiten Abend ohne frieren sehr in Ordnung.
Dienstag, 09.07., Gerlebogk – Dessau – Aken
58 Kilometer, 3:30 Std., 243 Höhenmeter.
Gestern Abend hatten wir kleine Probleme mit einer verwirrt wirkenden Frau, die in einer kleinen Fahrradgarage zeltete. Ich hatte den Fehler gemacht, ihr den Namen des Hundes zu verraten. Sie rief ihn dann ständig, um ihn zu sagen, er solle weg bleiben, damit ich nicht mit ihm schimpfe. Das hat nicht nur den Hund irritiert. Zwischendurch konnte man problematische Telefongespräche leider nicht überhören. Das hätte ich hier gar nicht geschrieben. Aber nach Abfahrt vom Campingplatz müssen wir einige Kilometer auf einer Landstraße mit Tempo 100 radeln und plötzlich sehen wir die Frau mitten auf der rechten Fahrspur laufen. Autos und LKW donnern mit hoher Geschwindigkeit vorbei und die Fahrer sehen die beige gekleidete Frau vor gleichfarbigen Feldern bei starker Sonne wohl nur mit Schwierigkeiten. Auch wenn man kein Grübler ist, grübelt man viele Kilometer, ob man etwas hätte machen müssen.
In Osternienburger Land lernen wir über die Kunstaktion Sachsenspiegel etwas über das älteste Rechtsbuch des deutschen Mittelalters. Viele Häuser sind bemalt, es gibt einen Themenspielplatz, usw. Unsere für kalte Getränke mitgenommene Thermos lassen wir absichtlich am Rastplatz stehen. Der Verschluss nervt, aber man kann sie nutzen. Vielleicht braucht sie noch jemand oder wenn nicht, landet sie mit Verzögerung im Mülleimer.
Der Bauhausstil interessiert mich grundsätzlich, aber das Bauhausmuseum im Zentrum bleibt für uns nur eine Glasfassade. Bei Ankunft in Dessau hat es heiße 32 Grad und Museum und Hund sowie Hab und Gut auf Lastenrädern passen nicht zu einem Besuch. Essen beim Thailänder, gut, wir machen uns klein, um im Schatten zu bleiben. Nach dem Essen noch zum alten „Amt für Arbeit“, wenn man schon mal hier ist. Dann macht die Hitze weiteres Interesse am Bauhaus zunichte. Witzig, dass der Elbradweg, dem wir ab Dessau folgen, direkt am Kornhaus vorbeiführt. So konnten wir also noch etwas bauhausiges anschauen.
Der Penny in Aaken ist eine vegane Enttäuschung, weil er nicht hat, was alle andere Filialen haben. Dafür ist der Campingplatz unkompliziert. Es gibt einen Kühlschrank mit Getränken und eine Kasse auf Vertrauensbasis. Wir zelten direkt an der Elbe.
Mittwoch, 10.07., Aken – Magdeburg
67 Kilometer, 3:39 Std., 173 Höhenmeter.
Beim Frühstück klebt eine Wespe nach landen und „stolpern“ auf dem Erdnussbrot fest. Wir retten sie mit dem Schmiermesser und schauen der langen Reinigung bis zum Abflug zu. Wenig Berührung mit Autos heute. Wir fahren auf Wegen mit schmalen Betonstreifen durch Naturschutzgebiete. Sehr schön.
Das Pretziener Wehr, Fertigstellung war 1873, ist interessant. Über den Elbe-Umflutkanal kann man im Hochwasserfall ein Viertel des Wassers über das alte Bett der Elbe leiten. Verhindert Flut in Schönebeck und Magdeburg. Den Schildern kann man entnehmen, dass die Hilfe für die Einen für Andere nachteilig ist.
Halt beim Rewe in Schönebeck. Ich kaufe Picknick für gleich und Abendessen. J. schlichtet derweil jugendliches Mobbing. Der Gemobbte bekommt seine Brille wieder und kann sich verdrücken. Beim Zurückkommen spüre ich leichte Schwingungen zwischen den Mobbern und uns. Gut, wenn Zivilcourage nicht schlecht endet.
Wir zelten beim Wassersportcamping WBF südlich von Magdeburg. Kostet 5 Euro plus 1,50 Euro je Dusche, 8 Euro komplett also. Sanitärgebäude ist ganz neu. Es gibt eine Holzhütte auf der Zeltwiese mit Kühlschrank, 1 Flasche Bier für 1 Euro. Es gibt Strom zum Laden, Sitzgelegenheiten und Tisch. Wir sitzen beim einsetzenden Regen gut unterm Dach der Miniterrasse und können trocken kochen und essen.
Donnerstag, 11.07., Magdeburg – Tangermünde
79 Kilometer, 4:35 Std., 272 Höhenmeter
Nach dem Frühstück geht es in die Innenstadt von Magdeburg, um bei Sport Scheck Ersatz für die zurückgelassene Thermoskanne zu kaufen. Die neue ist natürlich viel schöner und garantiert dichter. Ab morgen gibt es dann wieder kein „sonnenwarmes“, sondern ein etwas kälteres Getränk auf dem Weg. Filterkaffee beim Bäcker um die Ecke des Einkaufszentrums.
Magdeburg sieht interessant aus. Hier findet man den ersten gotischen Dom Deutschlands, ein neues Hundertwasserhaus (vielleicht das Letzte, weil Hr. Hundertwasser nun verstorben ist?). Ein wenig „schön alt“, ein bisschen marode, ein wenig neu und modern.
Stopp an der Trogbrücke des Mittellandkanals, die die Elbe kreuzt. Was man alles bauen kann. Danach viel Landschaft, wenig Verpflegungsmöglichkeiten. Deswegen Umweg über Parey zum türkischen Imbiss. Hat „vegan“ noch nie gehört. Mit kommunikativem Erfolg ziemlich knapp Dönerfleisch und Milchsoße an Falafel und Salat verhindert. Obwohl ich Ketchup sehr liebe, ist das auf Dauer kein guter Ersatz für die Originalsoße.
Schwarze Wolken nähern sich. Leider geht der Radweg an der Schleuse Parey über eine Metallbrücke mit Treppen. Der „Schiebestreifen“ ist zu nah am Geländer. Grenzwertiger Kraftakt mit den zwei Lastenrädern, bei startendem Unwetter. Wolkenbruch mit so viel Wasser, dass ich fast nichts mehr sehe. Angelaufenes Visier, nasse Brille, dazu Wasser mit Sonnenmilch, was in den Augen brennt. Handy ist wieder in der Jacke, weil es ja regnet J. findet ohne Navigation die Fähre auf die linke Elbseite. Unter einem kleinen Dach warten wir auf die Fähre und sind dort nicht die Einzigen, die nass sind. Mit einer Mischung aus Gefühl und Beschilderung kommen wir mit Umwegen nach Tangermünde. Wieder ein sehr unkomplizierter Platz und sehr günstig. Ich schüttele nur innerlich den Kopf, weil das Paar nebenan ihr Wohnmobil bis zum Dach trocken reibt. Wir sind wohl wasserfester.
Später laufen wir zum Edeka, um Frühstückssachen zu kaufen. Dann geht es zu den Exempel Gaststuben. Wir sitzen auf Schulbänken, trinken Bier und essen Gärtnerinnenpfanne. Im Gesamteindruck bis jetzt die schönste kleine Stadt.
Ich lese mal wieder bei Wikipedia, wo wir gelandet sind. Aus Tangermünde stammt die Schokoladenmarke Feodora. Jetzt gehört diese einer Firma in Bremen. Sehr viele Leute hatten hier früher Schokolade hergestellt und zu DDR-Zeiten auch Ersatzschokolade. Überall findet man viel „früher“.
Freitag, 12.07., Tangermünde – Wittenberge
76 Kilometer, 4:12 Std., 233 Höhenmeter.
Schon wieder Rückenwind. Es geht teilweise sehr einfach. Kaffeepause in Arneburg in einer drei Meter breiten Bäckerei, wo extra für uns hinter den Kulissen Kaffee gemacht wird. Dann noch mal Kaffee und veganen Kuchen im Café Lämpel in der alten Schule in Werben. Optisch und insgesamt ein gutes Erlebnis.
Ewig lange Elbebrücke nach Wittenberge. An der Eisenbahnbrücke gibt es einen schmalem Fußgängerweg. Zu schmal, um sich als Fußgänger schiebend gut zu begegnen. Erst Supermarkt, dann ein Stück zurück Campingplatz für Wasserwanderer. Zuerst sind wir die einzigen Gäste, dann kommt eine leider unfreundliche ältere Frau mit Auto dazu.
Um ca. 20 Uhr springt Katwarn auf meinem Handy an. Gewitter der Stufe 3 mit bis zu 40 Liter pro Quadratmeter, Sturm und Hagel werden vorausgesagt. Erster Einsatz des Tarps. Wir bauen eine Schutzdach überm Zelt. Problem ist ja, dass Wasser und Hagel abgehalten werden, aber die 20 Quadratmeter Tarp bei Sturm auch halten müssen. Wurde kein Hagel. Am Anfang des Gewitters durchaus spannende Sturmböen und einiges an Regen. Nichts, was das Zelt nicht ausgehalten hätte. Hätte, hätte… Lieber vorbereiten als Probleme bekommen. Der Hund hat das Zelt zwei Stunden lang zum Vibrieren gebracht, nie verschwindende Angst vor Donner.
In Wittenberge gab es mal Europas größtes Nähmaschinenwerk mit 3.200 Mitarbeitern, nach der Wende wurde das Werk „liquidiert“. Das Reichsausbesserungswerk RAW gibt es in der Nachfolge noch heute, die große Zeit der Eisenbahn ist vorbei, aber die Bahn scheint noch ein großer Arbeitgeber zu sein.